HENRIKE DAUM |
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CARINA PLATH Völlig losgelöst Der Song Space Oddity (1972) von David Bowie erzählt, wenige Jahre nach Stanley Kubricks Weltraumepos Space Odyssey, von einer weiteren Mission im Weltraum. Der Protagonist, Major Tom, ist das alleinige Besatzungsmitglied einer Rakete und der Text des Songs besteht aus dem Funkverkehr zwischen ihm und der Bodenzentrale. Was zunächst wie ein erfolgreicher Take off erscheint, bekommt eine andere Färbung, wenn Major Tom betont, „that the stars look very different today.“ In der Folge verliert die Bodenstation den Kontakt zu ihm: Major Tom schwebt frei im Weltraum. Der Refrain „Planet Earth is blue, and there is nothing I can do“ fasst die Überwältigung durch die Schönheit und Unendlichkeit des Alls, die sich nach dem Unfall in Ohnmacht verkehrt. Der Astronaut ist verloren und doch handelt das Lied weiter von der Sehnsucht nach Schwerelosigkeit. Kaum ein anderer Bereich verschränkt auf so vielfache Weise Utopien und Dystopien, Wissenschaft und Esoterik, technischen Fortschritt und Katastrophen wie die Raumschifffahrt und die Astronomie. Fantasie und Forschung liegen in wenigen Bereichen so nahe beieinander - Sterne sind Gegenstände von Poesie und Physik. Henrike Daums Interesse konzentriert sich auf diese Nähe von Kunst und Wissenschaften in vielen ihrer installativen Arbeiten, wie in Session (1999), bei der die Idee der spiritistischen Sitzung mit einem physikalischen Experiment verbunden wird. Ein runder Tisch, auf den per Video ein Händekreis projiziert ist, enthält in der Mitte einen Lautsprecher. Dieser ist mit Heilwasser angefüllt. Wenn die Chormusik mit tiefen Orgelbässen aus ihm erschallt, fängt das Wasser in Tropfen an zu springen. Das Wunder ist vollbracht und mit ihm die Profanisierung des Medienzeitalters eingespielt, die wir von Fernsehhochzeiten kennen. Es ist also kein Zufall, wenn sich Daums jüngstes, in Arbeit befindliches Projekt Cosmic Interview mit Observatorien und Planetarien beschäftigt, einem Thema, bei dem sich unzählige Vorstellungswelten durchdringen. Es zielt auf die Realisierung einer Installation mit Video, Musik und Diaporamen für ein Planetarium, bei der die üblicherweise projizierten Bilder durch von der Künstlerin ausgesuchte Bilder ersetzt werden. Die Installation für Zwickau ist dabei ein Zwischenstadium dieses groß angelegten Projekts. Hier ist das leicht gebaute Cockpit zugleich Projektionsstation wie Vorstellungsraum und Zeitmaschine. Wieder ist das Banale mit dem Futuristischen verbunden und lässt an die Bügeleisen und Plastikbecher denken, die in der deutschen Fernsehserie Raumpatrouille Orion die Schaltpulte mimten. Doch weniger als Trends zu zitieren, findet Henrike Daum nicht nur Versatzstücke, sondern bearbeitet sie auf eigene Weise. Das Vorgehen der Künstlerin gleicht sich dabei dem der Naturwissenschaftlerin und Historikerin an. Ausführliche Recherchen zu den Bauformen von Planetarien, ihrer Geschichte und Typologie, Reisen zu den Gebäuden und Institutionen und Gespräche mit den Wissenschaftlern vor Ort sind Teil des Projekts und nicht nur die Vorarbeit. Wenn eines der Bilder in diesem Katalog ein screenshot ihres Computerdesktops ist, zeigt Daum die zentrale Bedeutung einer vernetzten Arbeitsweise für sie, sowohl in Hinsicht auf die Kontakte zu anderen, wie auch auf die Art der Recherche. Sie forscht in analytischer, assoziativer und historischer Hinsicht das Internet ist dafür eine unersetzbare Quelle. Das Netz prägt auch die Struktur der Anhäufung ihrer Recherchen; an vielen Stellen gibt es neue Zweige, die weiter zu erforschen sind. Die realisierten Projekte muss man demnach als Abbrüche einer Recherche in vorvollendeter Form bezeichnen. Ein Beispiel ist Daums kürzliche Reise zum ‚Trollofonfestival’ in Bergen, ein Festival elektronischer Musik, bei dem die Musiker ihre Stücke während Fahrten in einem ausgedienten Oberleitungsbus präsentieren. Die Künstlerin hat Videoaufnahmen mit einer Kamera auf dem Dach des Busses, d.h. von der Bewegung durch die Stadt und einer Kamera innerhalb des Fahrzeugs gemacht. Zugleich suchte sie mit Musikern Kontakt, die die Musik für Cosmic Interview komponieren könnten und eine ähnliche Verbindung von low und high tech in ihren Stücken suchen wie sie selbst. Mag das entstandene Video zunächst ein Nebenprodukt sein, kann aus ihm später eine Arbeit oder der Teil einer Arbeit werden. Die Funde werden auf dem Desktop des Computers oder an der Atelierwand angeordnet. Vergleichbar dem berühmten Foto von André Malraux, der die Geschichte der Kunst auf dem Boden vor sich ausbreitet, folgt Daum einer Art mapping, um Verbindungen zu stiften oder visuelle Analogien aufzusuchen. Verschiedenartige Quellen wie Fotografien, Pläne, Diagramme und Zeichnungen werden in einer Art von Display vereint, aus dem wieder Felder herausgelöst und als neu gestiftete Zusammenhänge bearbeitet werden können. Wie bei der Reise in Bergen sind Interaktionen mit anderen Personen und Netzwerken Teil von Cosmic Interview. Das ‚Interview’ in seinem Titel bezeichnet zum einen den Teil der Arbeit, der aus Gesprächen mit Personen aus der Weltraumforschung und Astronomie entstehen wird, zum anderen wird der Begriff wörtlich genommen, wenn die Ambivalenz des Gegenstands und die Möglichkeit einer Interferenz angesprochen wird. Wie bei der Theorie der Quantenmechanik der Beobachter das Beobachtete in seinem Verhalten beeinflusst, sieht Daum ihr eigenes Projekt als eines, das sich ebenso durch ihre eigene Beobachtung, als auch durch die Meinung und Ansichten anderer formt. Die Interaktivität ist keine technische, die den Besucher der Installationen zum direkten Handeln auffordert, wie beispielsweise in der Aktivierung einer Internetseite, sondern als eine intellektuelle, physische und psychische Auseinandersetzung aufgefasst, die durch eine zeitlich offene und dynamische Werkstruktur eingefordert wird. In ihrer Installation in der Städtischen Ausstellungshalle Am Hawerkamp in Münster von 2002 hat Daum die motorische Bewegung mit der Fortbewegung des Besuchers durch die Räume verbunden. Die drei Ausstellungsräume enthielten in der Abfolge drei Arbeiten, die als Opener, Mobile und Closure betitelt waren. Nahm die zentrale Arbeit Mobile mit einem Mobile, an dem sich Lautsprecher und Videobeamer die Balance hielten und als eine Art von Planetenmodell über dem Besucher kreisten, die Thematik von Cosmic Interview vorweg, reflektierten die einleitende und die abschließende Arbeit den Status des Besuchers. Opener, eine Videoprojektion, bestand aus drei übereinander gelagerten Projektionsebenen: eine Projektion einfach flackernden Lichts, eine zweite Projektion eines Bildes, auf dem die Silhouette einer Figur an einer geöffneten Tür und die einer hängenden Discokugel zu sehen war, schließlich die Reflektionen einer Discokugel im Raum. Der in den dunklen Raum Eintretende doppelte als Figur, die durch die Tür eintritt, die zweite Ebene und vervollständigte mit der dritten die gesamte Arbeit zu einer auf die Rückenfigur der Romantik anspielenden Tautologie. In dieser Schichtung wurde Kulturhistorisches (Romantik), Popgeschichtliches (Disco), Poetisches (die fliehenden Lichter) und Technisches (das zerlegte Bild) in einer Weise verbunden, die für Daum charakteristisch ist und einen besonderen Umgang mit den verwendeten Technologien beinhaltet. Eine Stärke der Künstlerin liegt darin, dass sie von der Pioniergeneration der neuen Medien, von Künstlern wie Nam June Paik, John Cage und Gary Hill, gelernt hat, neueste Medien auf ihre einfachen Grundelemente zu befragen. Zugleich werden diese nicht mehr kritisch gegen sich selbst gewendet, sondern in ihren Eigenschaften als einfaches Instrument der Sichtbarkeit und hoch artifizielles und technisch aufwendiges Gerät zum Anschlag gebracht. Daum kann damit in ihren Installationen den weiten Bogen von den ersten mechanischen Erfindungen zu dem hohen Abstraktionsgrad der medialen Diskussion schlagen. Geschieht dies in ihrer Videoinstallation Hin und her (2003) durch die Einblendung einer aus Holz gefertigten Handrechenmaschine im Kontrast zu den ebenfalls sichtbaren digitalen Zahlen der Börsenmärkte, ist es bei Cosmic Interview das Gebaute des umgebenden Cockpits, das die Projektionen an den physischen Raum des Betrachters zurückbindet. Dabei betreibt Henrike Daum die Doppelstrategie der Begeisterung für den Mythos der Technik und der gleichzeitigen Entkleidung dieses Mythos und seiner Überführung in die Handhabbarkeit. Bei Closure wird eine alltägliche, visuelle Erfahrung in die Ambivalenz eines technischen Pixelbildes gerückt, wenn Daum die Videoaufnahme eines Blicks durch Rolllädenritzen auf bewegte Blätter auf eine frei hängende Plexiglasscheibe projiziert. Wegen der Transparenz des Trägers ist das Bild von beiden Seiten zu sehen und der Standort dessen, der von innen nach außen blickt, virtualisiert. Es entsteht ein ambivalentes Interface, eine Kondensation von Widersprüchen in dem einfachen Bild, das für die Brechungen und Abweichungen unserer Wahrnehmung angesichts des technischen Bildes stehen kann. „Wenn man ein Glas Wasser trinkt, trinkt man nicht H2O“ stellt Daum lapidar fest, doch kann es bei ihren Arbeiten beides zugleich sein. Mobile verbindet Aspekte esoterischer und klassischer Disziplinen wie der Radiästhesie (Wünschelrutengang) und der Astrologie, sowie der Meteorologie, Geografie und Akustik. Auch hier kann ein Blick in den Himmel oder das Empfangen von Funkwellen verschiedene Dinge bedeuten, je nach der Perspektive des Schauenden. Obwohl der Ausstellungsort als Haltepunkt fungiert (es wurde die Sternenkonstellation für den Eröffnungstag als auch seine Störfelder ermittelt), wird das Wissen über ihn nicht synthetisiert, sondern gestreut. Kreise ziehen, Pfeile in entgegengesetzte Richtungen schicken, Bilder ausschneiden und versetzen, diese auf dem Cover dieses Katalogs bezeichneten Aktivitäten stehen für die Vielspurigkeit von Daums erratischem und doch gerichtetem Vorgehen. Wie ist was der Titel dieser Broschüre könnte demnach ein selbstironisches Motto der Künstlerin sein eine Kennzeichnung der ständigen Neugier, der Sicherheit der visuellen Aufbereitung der gefundenen Daten und der sympathischen Kapitulation vor den Grenzen des eigenen Wissens. Carina Plath, völlig losgelöst, 2003, in catalog: WIE IST WAS, Max-Pechstein-Förderpreis, Kunstsammlungen Zwickau, 2003 www.pilota.fm |
CARINA PLATH Unbound in Space David Bowie’s song Space Oddity (1972), several years after Stanley Kubrick’s cosmic epos Space Odyssey, tells of another mission in space. The protagonist, Major Tom, is the sole crew member of a rocket, and the song’s lyrics consist of the radio communication between him and ground control. What at first seems like a successful blast-off is given a different twist when Major Tom stresses the fact “that the stars look very different today.” Following which contact is broken off: Major Tom floats unbound in space. The refrain: “Planet Earth is blue, and there is nothing I can do” expresses being overpowered by the beauty and infinity of the cosmos, which the accident turns into a swoon. The astronaut is lost and yet the song continues to intone a longing for weightlessness. There is hardly any other area where utopias and dystopias, science and esoterica, technical progress and catastrophes converge so consistently as in space travel and astronomy. In few other fields do fantasy and research lie so close together; stars are the objects of poetry as well as of physics. Henrike Daum’s interest focuses on the proximity of art and the sciences in many of her installations, such as Session (1999), in which the idea of a spiritist session is linked to a physical experiment. A round table, onto which a circle of hands is projected per video, boasts a loudspeaker at its center. This is filled with holy water. When choral music with deep organ bass notes resounds within it, drops of water begin to leap out. A miracle is consummated and recorded as the profanation of the era of the media, well known to us from TV weddings. It is therefore no accident if Daum’s newest project-in-progress, Cosmic Interview, is about observatories and planetariums, a theme within which countless imaginary worlds converge. The aim is to realize an installation with video, music and diaporama for a planetarium, in which photos offering the normal input are replaced by those selected by the artist. The installation for Zwickau is an interjacent stage of this wide-ranging project. Here the lightly built cockpit is at once projection station plus room for the imagination and time machine. Once again the banal is linked to the futuristic and reminds us of the electric irons and plastic cups that mimicked control panels in the German TV series Raumpatrouille Orion. Yet Henrike Daum not so much cites trends, she finds set props and, in addition, reworks them in her own way. The artist’s procedure is similar to that of scientists and historians. Her thorough research on the architecture of planetariums, their history and typology, her visits to the buildings and institutions themselves and dialogues with the scientists on the spot are not just groundwork but a solid part of the project. One of the photos in this catalogue is a screenshot of her computer desktop, proving the crucial significance to Daum of a networked workplace, both in respect to contacts with others and the kind of research needed. Her research is analytical, associative and historical; the Internet is an irreplaceable source. The net also molds the structure of the compilation of her research; in many places there are new offshoots that need further in-depth study. The projects that are realized must accordingly be seen as the termination of research in a work-in-progress form. One example is Daum’s recent trip to the ‘Trollofonfestival’ in Bergen, a festival of electronic music in which the musicians present their pieces during rides in a mothballed trolley bus. With her video camera the artist recorded the parallel course of the concert in the bus during its drive through the town. At the same time she sought contact with musicians who were capable of composing Cosmic Interview and were in search of a similar association between high and low tech in their pieces as she is herself. Though initially the ensuing video may be a byproduct, it can later become a work or part of a work. Her finds are arranged on the computer’s desktop or on the studio wall. Comparable to the famous photo of André Malraux spreading the history of art out across the floor, Daum proceeds via a kind of mapping so as to create connections or to search for visual analogies. Different source types such as photographs, maps, diagrams and drawings are combined as in a display, from which individual areas can again be extracted and undergo further treatment as newly created associations. Like the trip to Bergen, interactions with other persons and networks are part and parcel of Cosmic Interview. The interview in the title designates, for one, that part of the work which will emerge from conversations with persons from space research and astronomy and, for another, the term is to be taken literally when the ambivalence of the object and the possibility of interference is addressed. As in the theory of quantum physics where the presence of an observer influences the behavior of the observed, Daum sees her project as one that is formed just as much by her own close observation as by the opinions and views of others. The interactivity is not a technical one that prompts installation visitors to a direct reaction as, for instance, with the activation of an Internet site, but is understood as an intellectual, physical and psychical engagement that requires an open time frame and a dynamic work structure. In her 2002 installation in the “Städtische Ausstellungshalle Am Hawerkamp” in Münster, Daum linked locomotion with the visitor’s movement through the rooms. The three exhibition rooms contained a sequence of three works entitled Opener, Mobile and Closure. The central work Mobile presented a mobile in which loudspeakers and video beamers were held in balance and circled above the visitors like planetary models, thus anticipating the theme of Cosmic Interview, whereas the introductory and the closing works reflected the viewers’ standpoint. Opener, a video project, consisted of three superimposed projection levels: a simple projection of flickering lights, a second projection of a picture on which could be seen the silhouette of a figure in an open door and a hanging disco sphere, and finally a disco sphere’s reflections of the room. Whoever entered the dark room doubled the second level as the figure who stepped through the door, and on the third level brought to completion the entire work via a tautology that alluded to the rear view figure from Romantic painting. This tiered stratification linked cultural history (the Romantic), pop history (disco), lyricism (fleeting lights) and technology (the disassembled picture) in such a way that is characteristic of Daum and implies a specific way of dealing with the technology used. One of the artist’s strengths is that she learned from the pioneer generation of the new media, from artists such as Nam June Paik, John Cage and Gary Hill, how to question the newest media as to their simple basic elements. At the same time, these media are not critically used against themselves but, in their property as both a simple instrument of perceptibility and a highly artificial and technically costly device, revved up as far as they will go. In this way Daum in her installations can span a wide arc from the first mechanical inventions to the media discourse’s high degree of abstraction. In her video installation Hin und her (2003), this takes places by means of the fade-in of a handheld adding machine made of wood that contrasts with the digital numbers on the stock market display board also shown. In Cosmic Interview it is the construction of the enclosing cockpit that connects the projections back to the viewer’s physical space. Meanwhile Henrike Daum operates with the double strategy of one who is an enthusiast of the technology myth and who, simultaneously, unmasks the myth and makes the technology usable. With Closure an everyday visual experience is transposed into an ambivalent pixel image when Daum projects the video shot of leaves in motion seen through the slits of a jalousie and projected onto a free-hanging Plexiglas pane. Because of the transparency of the support, the picture can be seen from both sides and the standpoint of the one on the inside looking out is virtualized. The interface is made ambivalent, a condensation of contradictions in the simple picture that can stand for the refractions and divergences of our perception in confrontation with the technical image. “When you drink a glass of water, you are not drinking H2O,” as Daum remarks lapidarily, but in her works both can exist in tandem. Mobile links aspects of esoteric and classical disciplines such as radiesthesia (dowsing per divining rod) and astrology, as well as meteorology, geography and acoustics. Here too observation of the sky or the reception of radio waves can mean different things, all in accordance with the gazer’s perspective. Although the site of the exhibition functions as the critical point (the stars’ constellation as well as its interference field were determined for the date of the opening), our knowledge of it is not synthesized but dispersed. Drawing circles, sending arrows in the opposite direction, cutting out images and shifting them these activities pictured on the cover of this catalogue stand for the multiple tracking of Daum’s erratic yet pertinent procedure. “How is what” the title of this brochure could accordingly be the artist’s self-ironic motto a characteristic of Daum’s constant curiosity, of the stability of her visual processing of the found data and her personable capitulation in the face of the limits of her own knowledge. From the German by Jeanne Haunschild Carina Plath, Unbound in Space, 2003, in catalog: WIE IST WAS, Max-Pechstein-Förderpreis, Kunstsammlungen Zwickau, 2003 |
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Kerstin Stakemeier Pebbles & Rock Stars Die Vorstellung einer Einheit, eines ästhetischen Ganzen, das in der Kunst beheimatet sei und aus ihren Werken hervortrete, beherrschte die moderne Kunst noch zu Beginn des 20.Jahhunderts. In ihr wurden Figuration und Abstraktion zu Gegenpolen im stetigen Versuch, der Realität Aspekte einer Einheit abzuringen, ihr ein ästhetisches Ganzes entgegenzustellen. Die künstlerischen Avantgarden in Europa suchten nach einer Fluchtlinie, in der die Kunst das Leben kapern könnte. Pebbles & Rock Stars demonstriert wie das Kapern gelang, in dem jedoch nicht mehr die Kunst die Oberhand hatte, sondern die Kräfteverhältnisse verschwammen und die Wissenschaft, derer sie sich im Verlauf des 20.Jahrhunderts immer mehr bedient hatte, die Maßstäbe setzte. Henrike Daum, Martin Durham und Tina Isabella Hild präsentieren im Neuen Problem Reihen von Arbeiten, die wie Prototypen das stetig schwankende Dominanzverhältnis nachzeichnen, indem sich künstlerische Formgebung heute befindet. In der Gegenwart hat die Wissenschaftsbegeisterung, die in den 1950ern die Künstler_innen der Londoner Independent Group beherrschte und die in den 1960ern in die Formation der Conceptual Art als philosophischer Ersetzung der Kunst führte, den Faden verloren. Abstraktion und Figuration stehen nicht länger einander gegenüber, sondern brechen ineinander durch, denn weder der ästhetischen noch der wissenschaftlichen Einheit gelang letztendlich das Kapern der Welt nach ihren Maßstäben. Gilles Deleuze schrieb 1981 über Francis Bacons Malerei “It is as if, in the midst of the figurative and probabablistic givens, a catastrophe overcame the canvas.” Es ist die Dramatik dieser Katastrophen, die Daum, Durham und Hild in ihren Arbeiten zu bestreiten scheinen. Hier werden industrielle Materialien, naturwissenschaftliche Formen und Anordnungen in einem Stadium jenseits ihres funktionalen Zwecks angeordnet. Pebbles & Rock Stars setzt eine gegenständliche Formation abstrakter Verhältnisse zusammen, Teilobjekte eines nicht mehr einheitlichen Universums, SciFi, Geologie, Design und Staffage vermitteln einen gemeinsamen Sinn, dessen Zweck sich in jeder Arbeit neu zu erschließen scheint und doch unabgeschlossen, offen für Fortführungen, bleibt. In Henrike Daums skulpturalen Projektionen kehrt die wissenschaftliche Beobachtung als SciFi Oberfläche zurück. Sie setzt scheinbar unbedeutende oder massenkulturell romantisierte Elemente der Natur in Projektionen mit photographischer Präzision zusammen, ohne sie zur Analyse freizugeben. Die Demonstration spielt mit den Betrachter_innen eine Art Verwechslungsspiel. Was wissenschaftlich der Ausgangspunkt einer Untersuchung wäre, scheinbar geologische Formationen, Kleintiere, Ansichten und Ausblicke, wird hier zur ästhetischen Farce. Ihr ist die klassische Schönheit genommen dadurch, dass sie durch Alltagsutensilien und billige Lichteffekte ins rechte Licht gerückt werden und gerade durch diese scheinbare Banalität erzeugen Daums Bilder ästhetische Körper, die ihren Zweck wie im Scherz bestreiten. Martin Durhams Rauminstallationen und Wandgebilde stellen Figuration als Zusammensetzung abstrakter Medien nach. Wo seine Bleistiftzeichnungen haargenaue Oberflächenstrukturen und menschliche Körper figurativ nachbilden und umbilden, scheinen seine Installationen aus den Rändern der Abstraktionen die auf den Papieren auftauchen zu erwachsen. Seine farbigen Leuchtstoffröhren zeichnen Bilder und Formeln nach, deren Ergebnisse sich als Frage an die Betrachter_innen zu stellen scheint. Auch hier tauchen Alltagsgegenstände auf, zweckentfremdete Funktionsträger, die hier jedoch in Lebensgröße ihr Gegenüber und einander konfrontieren und aus deren klaren, industriellen Farben Durham in fast chemischer Verwendung Landschaften als Laborsituationen mit unklarem Ausgang zusammensetzt. Tina Isabella Hild schafft modellhaft eine klassische Galeriepräsentation. Auf Podesten präsentiert sie Skulpturen in klassischen Maßen und gleichmäßigen Formen, ergänzt mit einer Zeichnung, deren Farbe und Formgebung präzise den Anspruch der Deutlichkeit an die Kunst nachvollzieht. Und doch bleibt nichts klar und alles wird undeutlich. Hilds Skulpturen nähern sich so sehr Gesteinsbildern und organischen Präparationsobjekten an, dass sich kaum mehr entscheiden lässt, ob sie gegenständlich oder ungegenständlich sind. Ihr Umgang mit den Materialien, hier mit Gips und Naturschwämmen, die sie mit Farbe so beschichtet, dass sie beginnen sich denjenigen Modelle anzunähern, die sie gleichzeitig verfremden, scheint humorvoll über die Frage nach der ästhetischen Form hinwegzugehen, in dem sie ihre mikrologischen Strukturen konsequent auf die Spitze treiben, Berge von Form entstehen lassen. Hilds Zeichnungen führen diese mikrologische Welt zurück auf die menschlichen Körper und Haltungen und ergänzen sie miteinander zu einem eigenartigen Sinnzusammenhang aus scheinbaren Nebensächlichkeiten. Pebbles & Rock Stars Henrike Daum, Martin Durham, Tina Isabella Hild 12 Juni 10 Juli 2010 Neues Problem Auguststraße 21 | 10117 Berlin |
Kerstin Stakemeier Pebbles & Rock Stars The idea of a unity, of an aesthetic wholeness, residing within art and rising from it was still overtly present in modern art in the beginning of the 20th century. Within this scheme, figuration and abstraction turned into antipoles of aesthetic attempts to reclaim reality as a somewhat wholistic entity in art. The artistic avant-gardes in Europe were aiming for alignments through which art could seize life. Pebbles & Rock Stars demonstrates how this seizure succeeded - but did not pass over the hegemonic power to art. Rather it was emanation of scientific patterns in art, which emanated from its social dignification within the course of 20th century. At the Neues Problem, Henrike Daum, Martin Durham and Tina Isabella Hild present works, which offer prototypes, reflecting the fluctuating power structures and patterns of meaning in which artistic production today is entangled. At present, the enthusiasm for scientific pattern, which in the 1950s had driven the artists, designers and architects who formed the London-base Independent Group, and which in the rise of the 1960s had dominated the formation of Conceptual Art as the turn of art into its own philosophical field, has lost its immediate attraction. Today abstraction and figuration no longer seem to represent antipoles but are rather constantly bending over into one another. Neither scientific nor aesthetic figurations of wholeness could conquer the world according to its standards. In 1981, Gilles Deleuze discussed Francis Bacon’s paintings as the epicentre of this destabilization: “It is as if, in the midst of the figurative and probabablistic givens, a catastrophe overcame the canvas.” It is the drama of this catastrophe, which Daum, Durham and Hild seem to contradict in their works. In Pebbles & Rock Stars industrial materials and forms borrowed from the natural sciences are rearranged in a status beyond their functional meanings. The exhibition demonstrates a figurative arrangement of abstract relations, part objects of a no longer integrated universe of SciFi, geology, design and props are assembled to perform a function which seems to rise from each of the works individually and which remains open to furthenings and complications. In Henrike Daum’s sculptural projections, scientific observations return as Scifi-ed surfaces. They are combining arbitrary or mass culturally romanticized objects and views of nature into projections, which demonstrate with photographic precision a sense without a function. Daum’s demonstrations are playing a kind of mix-up game with its observer. What at first seems to be staged as a scientific test arrangement, geological formations, small animals, views and perspectives here shifts over into an aesthetic farce. Classical beauty is no longer the standard by which these objects exist, as their aesthetic unity is constructed by means of everyday utensils and cheap light effects. It is this apparent banality in Daum’s works, which constructs an aesthetic body, which seems to humorously deny its function. Martin Durham’s room installations and wall objects are restaging figuration as combinations of abstract media. Where Durham, in his pencil drawings figuratively pinpoints and bends the surface structures and human bodies thoroughly, his installations seem to grow out of the abstractions, which rise from the edges of his drawings. Coloured fluorescent tubes are composed into drawings of images and formulas, the sense of which seems to be asked from the viewer. Again, utensils of everyday life appear, function owners devoid of their functions, but here they appear as life size counterparts, which confront the viewer as well as one another. Durham almost chemically constructs laboratory landscapes with dubious outcomes, illuminated by the sharpness of industrial colours. Tina Isabella Hild’s installation seems to mock a classical gallery set up. She presents sculptures of classical measures on pedestrals of standardized height and with them exhibits drawings the clarity and colour tones of which affirm the demand for lucidity in art. But still everything remains ambiguous and nothing is clear. Hild’s sculptures are mimicking the geological formations and organic preparatory objects so closely, that they hardly provide their viewer with the distance to decide if they are figurative or abstract formations. Her configurations of plaster and sponges, coated with colour are resembling their prototypes but de-familiarize them at the same time in humorously returning them as a-functional aesthetic forms. Hild is carrying this formation of recognition and rejection to an extreme, producing masses of forms in indefinite orientations. Hild’s drawings project those reflections on form and function back onto the human body and its postures, accessorizing it with prothesis, constructed out of seemingly arbitrary objects. Pebbles & Rock Stars Henrike Daum, Martin Durham, Tina Isabella Hild 12 Juni 10 Juli 2010 Neues Problem Auguststraße 21 | 10117 Berlin |
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© 2013 Henrike Daum |